VideoüberwachungNeues von den Karlsruher Überwachungsplänen

Vor drei Jahren verhinderte der Gemeinderat die Einführung eines „automatisierten Videoüberwachungssystems“ knapp. Nun holt die CDU-Fraktion die Entwicklung des Energieversorgers EnBW wieder aus der Schublade – und könnte am Karlsruher Werderplatz diesmal mit der Etablierung eines Überwachssystems Erfolg haben.

Videoüberwachung verhindert keine Verbrechen. CC-BY 2.0 Frédéric BISSON

Knapper konnte es nicht ausgehen: Mit 23 Stimmen dafür und 23 Stimmen dagegen fand sich im Karlsruher Gemeinderat 2021 keine Mehrheit für ein Videoüberwachungssystem am Europaplatz. Ein Jahr verstrich, dann setzte die CDU-Fraktion im Karlsruher Gemeinderat die automatisierte Überwachung erneut auf die Agenda (pdf). Diesmal ist die „KI-gestützte“ Videoüberwachung allerdings für den Werderplatz in der Karlsruher Südstadt im Gespräch. Schon am morgigen Dienstag soll nun über deren Einführung abgestimmt werden.

Ein kurzer Rückblick

Um das Sicherheitsgefühl am vorgeblichen „Angstraum Europaplatz“ zu erhöhen, wurde vor drei Jahren vorgeschlagen, eine automatisierte Videoüberwachung in einem Pilotprojekt zu testen. Ein Kriminalitäts-Hotspot im juristischen Sinne war und ist der Europaplatz nicht, weswegen eine dauerhafte Videoüberwachung polizeirechtlich nicht zulässig ist.

Das vom Energiekonzern EnBW entwickelte System SAVAS D+ sollte da Abhilfe schaffen: Durch eine „automatische Verfremdung“ der aufgezeichneten Bilder seien Personen nicht identifizierbar, stattdessen sollen nur gefährliche Situationen erkannt und an die Polizei gemeldet werden. Der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg gab sich damit zufrieden und winkte das System ungeprüft durch, die Sachverständigen vom lokalen Verein Entropia, dem Chaos Computer Club in Karlsruhe, sahen das hingegen deutlich kritischer (pdf). Letztlich scheiterte das Vorhaben denkbar knapp im Gemeinderat.

Warum die Einführung eines Überwachungssystems zu befürchten ist

Anders als der Europaplatz ist der Werderplatz in Karlsruhe ein stadtbekannter Treffpunkt verschiedener Gruppen, zu denen viele wohnungslose und suchtkranke Menschen gehören. Auch Ordnungswidrigkeiten und Kriminalität erhöhen den Handlungsdruck der Politik. Einem am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) entwickelten Videoauswertungssystem, das die CDU fordert, erteilte die Stadtverwaltung allerdings bereits eine Absage: Wie auch am Europaplatz fehlt für Klarbild-Aufnahmen die „polizeirechtliche Ermächtigungsgrundlage“. Dass heißt, Kriminalität in einem Ausmaß, das eine dauerhafte polizeiliche Videoüberwachung legalisieren würde, gibt es auch am Werderplatz nicht.

Eingerichtet werden dürfte das Fraunhofer-System, über das die CDU-Fraktion morgen abstimmen lassen will, somit wohl nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass dann das SAVAS-System der EnBW wieder ins Spiel gebracht wird, von dem in einem früheren Antrag der Fraktion bereits die Rede war.

Systemunabhängig treffen diese vermeintlich einfachen Lösungen für komplexe Probleme auf viel Kritik. Die von der Stadt reaktivierte „Arbeitsgruppe Werderplatz“ aus Stadtverwaltung, Polizei, Bürger:innen, sozialen Trägern und örtlichen Gewerbetreibenden sieht das Vorhaben mehrheitlich kritisch. Für sie steht der „Nutzen einer anonymisierten Videoüberwachung in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten und Auswirkungen auf Dritte“, wie es in einem aktuellen Zwischenbericht (pdf) heißt. Erfolge ließen sich in der Vergangenheit eher durch Maßnahmen wie die Alkoholverbotszone, Konsumräume oder den Ausbau der sozialen Hilfs- und Beratungsangebote vor Ort erzielen. In Hinblick auf die Videoüberwachung befürchtet die Gruppe zudem, dass die vielen Kameras das Sicherheitsgefühl der Anwohner:innen eher verschlechtern würden.

In einem offenen Brief thematisiert der Verein Entropia (pdf) darüber hinaus, welche Probleme die Videoüberwachung mit sich bringt: Sie gefährde die Privatsphäre von Anwohner:innen und Passanten:innen, bringe das Risiko eines potentiellen Missbrauchs der Daten mit sich und hemme Bürger:innen darin, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen, auch etwa im Rahmen von politischen Demonstrationen. Darüber hinaus verweist der Verein auf Studien, die die geringe Wirksamkeit von Videoüberwachung belegen und spricht von einem schlechten Einsatz des knappen Geldes und begrenzten Personals.

Es wird auch befürchtet, dass anstatt eines Rückgangs des Konsums von Alkohol und anderen Drogen eher eine Verschiebung in umliegende Wohngebiete und Spielplätze in der Nähe stattfinden würde. Angesichts der vorgebrachten Kritik wird deutlich, dass Vorsicht geboten ist, wenn mit technischen Hilfsmitteln vermeintlich einfache Lösungen für gesellschaftliche Probleme präsentiert werden.

Keine Verbesserungen durch Videoüberwachung zu erwarten

So gilt heute für den Werderplatz, was auch vor drei Jahren für den Europaplatz galt: Dass die Videoüberwachung in irgendeiner Weise zur Verbesserung der Situation vor Ort beiträgt, ist nicht zu erwarten. Die Arbeitsgruppe vor Ort und auch technische Sachverständige sprechen sich daher gegen das Überwachungssystem aus. Noch immer fragwürdig sind die datenschutzrechtliche Zulässigkeit und die mit dem EnBW-System einhergehende Auslagerung staatlicher Aufgaben an Unternehmen.

Trotz gegenwärtiger Unklarheiten darüber, ob nun das IOSB- oder das EnBW-System umgesetzt werden soll und ob ersteres nicht schon von vorneherein unzulässig wäre, ist die morgige Abstimmung wichtig. Die Karlsruher Stadträt:innen könnten einem fragwürdigen Ausbau von Überwachungstechnologie wie schon 2021 erneut einen Riegel vorschieben. Darüber hinaus legt ihre Entscheidungen einen Grundstein dafür, wie in Zukunft mit dem Werderplatz umgegangen werden soll: fundierte Auseinandersetzung mit grundlegenden Problemen oder reine Symptombekämpfung.

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5 Ergänzungen

  1. > … Konsums von Alkohol und anderen Drogen …

    Eine Stadt, welche ihre Schwächsten dem Suff und Drogen überlässt, möchte auch noch voyeuristisch das Ergebnis ihrer Politik konsumieren. Wie wär’s mit der Überwachung des Kokain-Anteils im Abwasser der bevorzugten Wohnlagen?

  2. Heute war die Abstimmung im Gemeinderat, und das [https://web.archive.org/web/20240220214853/https://sitzungskalender.karlsruhe.de/db/ratsinformation/6392/6403/file/view1_TOP%204.4.jpg Ergebnis der Abstimmung] ist 35 Stimmen gegen die Überwachung und nur 13 dafür. Im Verhältnis zu der Abstimmung am Europaplatz ist das Ergbenis also sogar noch deutlicher.

    Oberbürgermeister Frank Mentrup sagte Alkoholverbot auf dem Werderplatz, Sozialarbeit und hohe Präsenz vom Kommunalen Ordnungsdienst habe geholfen. Die Menschen sind aber auch nicht weg egal welche Angebote gemacht werden. Vesperkirche ist gut, es wäre gut wenn ähnliche Angebote nicht auch noch auf diesem Platz wären.
    Gemeinderat Benjamin Bauer von den Grünen sagte zu der Videoüberwachung, es fehlt die rechtliche Grundlage, Kosten und Nutzen stehen in keiner Relation, Menschen die da wohnen werden benachteiligt, Obdachlose stigmatisiert. Es treten schnelle Gewöhnungseffekte ein bei den Menschen welche die CDU auf dem Platz nicht haben möchte. Das System wäre noch mal deutlich weniger Datensparsam als das für den Europaplatz vorgeschlagene. Ab 2026 wird es EU-Gesetzgebung geben, nach welcher das System als Hochrisiko eingestuft wird und damit ein hoher Aufwand für die Verwaltung entstehen würde.
    Gemeinderat Thomas Hock von der FDP sagte die Videoüberwachung geht mit ihnen nicht, weil sie es nicht für richtig und auch nicht für umsetzbar halten.
    Gemeinderat Michael Zeh von der SPD sagte auf dem Europaplatz hätten sie es akzeptiert. Auf dem Werderplatz werden sie es ablehnen.

    1. Könnte es zutreffen, dass Lokal-Politik in Karlsruhe technologischen Playern (MIT, Fraunhofer, EnBW) ein Spielfeld zur Erprobung ihrer Fähigkeiten zur Verfügung stellen möchte? Mit Randgruppen einer Stadt-Gesellschaft als Probanten, die sich kaum wehren können? Was tut die Stadt, um diesen Menschen zu helfen, anstatt sie zu vertreiben und einer Überwachung im öffentlichen Raum zu überlassen? Wie kommt es dazu, dass es in Karlsruhe ein größeres Problem mit Rauschmitteln gibt, als andernorts? Hat man in Karlsruhe schon mal einen Gedanken daran verschwendet, ob es Versäumnisse im Rathaus gibt, sich mehr um soziale Belange in der Stadt zu kümmern?

  3. Interessant ist auch die Frage warum EnBW überhaupt solche Software anbietet. DAs klingt erstmal nicht gerade nach deren Kerngeschäft…

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